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Barrierefreie Kommunikation: Alles andere als ein rechtsfreier Raum

Zwei Personen, die sich vor einem Abgrund gegenüber stehen (Quelle: Adobe Stock 138368979)


Stellen Sie sich vor, Sie wollen online shoppen, aber die Schrift ist so klein, dass Sie sie kaum lesen können. Oder Sie versuchen in der Bahn ein Video ohne Ton anzuschauen, aber es gibt keine Untertitel. Nervig, nicht wahr? Das ist für viele Menschen mit Beeinträchtigungen der Alltag im Internet. Nicht barrierefrei! Barrierefreiheit im Netz bedeutet, dass alle – und wir meinen wirklich ALLE – Websites, Apps und andere digitale Angebote nutzen können.

Um die Rechte beeinträchtigter Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe zu schützen, gibt es inzwischen immer mehr Gesetze und Verordnungen. Wir fassen für Sie zusammen, wie die Rechtslage aktuell aussieht. Und was sich schon jetzt zum regulatorischen Szenario für die Zukunft erkennen lässt.

Was bedeutet „barrierefrei“ rechtlich?

Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.
Quelle: § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG)

Klare Rechtslage für „die Öffentlichen“

Lange bevor die EU ihre Richtlinie zur Barrierefreiheit 2016 verabschiedete, hatte Deutschland bereits seine Hausaufgaben gemacht! Die BITV 2.0 – ausführlich Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung trat in Kraft. Die für Behörden und öffentliche Einrichtungen heute geltende Fassung stammt von 2019. Sie macht die Anforderungen an die Barrierefreiheit für Webauftritte und -anwendungen konkret. Und stützt sich auf die die Web Content Accessibility Guidelines 2.0 – kurz WCAG. Diese bestehen aus vier Prinzipien:

  • Wahrnehmbarkeit
    Inhalte müssen so präsentiert werden, dass sie von allen Nutzern wahrgenommen werden können.
  • Bedienbarkeit
    Benutzeroberflächen und Navigation müssen bedienbar sein.
  • Verständlichkeit
    Informationen und die Bedienung der Benutzeroberfläche müssen verständlich sein.
  • Robustheit
    Die Inhalte sind so verfasst, dass sie von technischen Assistenten wie Screenreadern gelesen und interpretiert werden können.

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Das regelt die BITV 2.0

Die BITV-2.0-Verordnung gilt für Websites, Webanwendungen, mobile Anwendungen, elektronische Verwaltungsabläufe und grafische Programmoberflächen. Sie verpflichtet öffentliche Stellen dazu, eine Erklärung zur Barrierefreiheit auf ihren Websites zu veröffentlichen und regelmäßig zu aktualisieren. Sie macht auch Vorgaben zur Berichterstattung über die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen. Allgemeine Informationen über die Website, Hinweise zur Navigation und die Erklärung zur Barrierefreiheit müssen außerdem in Leichter Sprache und deutscher Gebärdensprache verfügbar gemacht werden.

Fahrplan der Umsetzung

Für Bundesbehörden ist die digitale Barrierefreiheit gemäß BITV 2.0 nach folgendem Fahrplan angerollt:

Neue Websites: seit September 2019

Alte Websites: seit September 2020

Apps: seit Juni 2021 barrierefrei

Für Landesbehörden und Kommunen
variieren die Fristen je nach Bundesland. Einige Länder haben eigene Gesetze zur Umsetzung der EU-Richtlinie erlassen. Generell gelten aber ähnliche Fristen wie auf Bundesebene.

Technische Overlays allein reichen nicht aus

Viele Nutzer:innen stoßen – ungeachtet der klaren Rechtslage – noch immer auf zahlreiche Websites von Behörden und öffentlichen Stellen, die Kriterien der digitalen Barrierefreiheit nicht erfüllen. Ein Grund ist, dass die Webseitenbetreiber sich häufig sogenannter Overlays bedienen, die eine Anpassung ihrer Websites und ihrer mobilen Anwendungen an die BITV 2.0 leisten sollen. Das Problem: Diese Tools arbeiten nach generellen Standards, kennen nicht den Kontext der Information, sind also nicht auf die jeweilige Website angepasst. Folge: Sie können nicht alle Barrieren entfernen, zum Beispiel bei Alternativtexten zu Bildern.

Für Unternehmen läuft der Countdown zum BFSG

Webseiten und andere digitale Angebote von Unternehmen müssen die Vorgaben des Barrierefreiheitsgesetzes (BFSG) erfüllen, das am 28. Juni 2025 in Kraft tritt. Es soll sicherstellen, dass Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar sind. Betroffen davon sind zum Beispiel Computer, Smartphones, E-Book-Reader, Ticketautomaten, Online-Shops und Banking-Dienstleistungen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gilt für Hersteller, Händler und Importeure bestimmter Produkte sowie Dienstleistungserbringer. Ausgenommen sind kleine Dienstleistungsunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro.

Sanktionen und Abmahnungen drohen

Bei Verstößen gegen die Anforderungen zur Barrierefreiheit drohen verschiedene Strafmaßnahmen:

  • Marktüberwachungsbehörden können die Bereitstellung von Produkten oder Dienstleistungen einschränken oder untersagen.
  • Produkte können zurückgenommen oder zurückgerufen werden.
  • Es können Bußgelder bis zu 100.000 Euro verhängt werden.
  • Unternehmen können seitens ihrer Mitbewerber wegen unlauterem Wettbewerb abgemahnt werden.

Wie sehr die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer von diesem Strafkatalog tatsächlich Gebrauch machen werden, ist noch unklar. Sicher ist, dass Abmahnvereine ab Tag 1 des Inkrafttretens die Praxis der Unternehmen genauestens unter die Lupe nehmen werden.

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3 Gründe zur sofortigen Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit

Sind Sie eine NGO, eine Stiftung, eine gemeinnützige GmbH, ein Verband, Verein oder ein kleines (Dienstleistungs-)Unternehmen? Dann sind Sie aktuell weder vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz noch von der BITV-2.0-Verordnung betroffen. Und dennoch empfehlen wir Ihnen, schon jetzt voll auf Kurs kommunikative (oder digitale) Barrierefreiheit zu gehen. Warum?

  • Erstens, weil das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) beim Thema Barrierefreiheit überaus gründlich vorgeht. Absehbar ist, dass sich aus den gesetzlichen Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, das für die größeren Online-Shops und -Dienstleister gilt, ein neuer Standard bildet, der auch Sie als Website-Betreiber erfassen wird und langfristig gilt. Schon heute wartet das Ministerium mit Leitlinien zur Umsetzung des Barrierefreiheitsgesetzes auch für kleine Unternehmen und Dienstleister auf.
  • Zum anderen empfiehlt es sich für Sie aus Wettbewerbsgründen. Sie konkurrieren bald mit Unternehmen und Einrichtungen, die mit ihren barrierefreien Medien spätestens ab Mitte nächsten Jahres mehrere Millionen Menschen zusätzlich erreichen.
  • Ein barrierefreier Webauftritt weist Sie außerdem als inklusionsfreundliches Unternehmen und bringt Sie in den Suchmaschinen nach vorn. Ihre Website wird besser sichtbar.

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