Themen

„Barrierefreiheit funktioniert nur, wenn alle das Thema mitdenken.“

Lesezeit: 4 min

Barrierefreiheitsexperte Sune Donath im Gespräch

So lässt sich digitale Barrierefreiheit praktisch umsetzen

8 Fragen an unseren Entwickler und Barrierefreiheitsexperten Sune Donath

Wie steht es nach deiner Einschätzung um die digitale Barrierefreiheit in Deutschland?

Ich finde: erschreckend schlecht. Schon bei der Bedienung entdecke ich selbst bei bekannten und stark frequentierten Websites immer wieder grundlegende Probleme. Wenn ich dann aus Neugier genauer nachsehe, wird mein erster Eindruck oft bestätigt: Wenn bereits Basics nicht funktionieren, wenn ich zum Beispiel die von mir per Tastatur angesteuerten Elemente nicht sichtbar hervorgehoben erkenne, steht es um die Barrierefreiheit nicht gut. Das belegt auch eine aktuelle Untersuchung von Aktion Mensch, bei der 71 Shops darauf untersucht wurden, ob diese über die Tastatur ohne Maus bedient werden können. Nur 15 Shops konnten diesen Test bestehen.

Welche Haupthindernisse siehst du für Unternehmen und Organisationen bei der Umsetzung der WCAG- und BITV-2.0-Vorgaben?

Das Hauptproblem ist wahrscheinlich gar nicht mal die Fülle an Vorgaben, sondern die Tatsache, dass für barrierefreie Websites viele Gewerke zusammenarbeiten müssen: zumindest Programmierung, UX-Design, Webdesign und Text. Bewusstsein und Verständnis dafür, was man dabei alles beachten muss, ist noch nicht wirklich weit verbreitet. Es ist eben nicht so, dass man eine Website erstellt und am Ende ein Barrierefreiheitsexperte draufguckt und das Ganze mal eben barrierefrei macht und die Website dann im laufenden Betrieb auch barrierefrei bleibt. Bereits im Designkonzept muss beispielsweise darauf geachtet werden, welche Farbkombinationen man für ausreichenden Kontrast benutzen kann. Wie die Seiten strukturiert werden können, damit sie einen klaren Fokus haben. Wie das Ganze im Webdesign umgesetzt wird, damit die semantische Struktur Sinn ergibt und unterschiedliche Darstellungsformen und Bedienkonzepte unterstützt werden. Und auch, wie Texte und Bilder redaktionell gepflegt werden müssen. Barrierefreiheit ist also etwas, das von Anfang an mitgedacht werden muss und als laufender Prozess auch nie endet. Daher muss es korrekt eigentlich immer Barrierearmut heißen. Das bedeutet aber in der Praxis für Unternehmen und Organisationen: Der Aufwand, eine bestehende Webseite barrierefrei zu machen, kann mit größeren Aufwänden verbunden sein. Da ist es manchmal sogar besser, eine neue Webseite barrierefrei aufzusetzen.

Barrierefreiheitsexperte Sune Donath im Gespräch

Welche spezifischen Herausforderungen bringt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ab Juni 2025 für Unternehmen mit sich?

Durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) werden Unternehmen, die B2C-Dienstleistungen auf ihrer Website anbieten, dazu gezwungen, sich mit dem Thema Barrierefreiheit auseinanderzusetzen - mit Ausnahme von Kleinstdienstleistern. Da das Thema bei den meisten bisher nicht im Fokus war, werden es die meisten wahrscheinlich - ähnlich wie damals bei der DSGVO - verschleppen und kurz vor knapp irgendwie umsetzen wollen, um Strafzahlungen zu vermeiden. Ich halte das für grob fahrlässig.

Barrierefreies Webdesign – und das muss in die Köpfe der Verantwortlichen – bietet vor allem Chancen, und sollte nicht als gesetzliche Gängelung gesehen werden. Wie wir von unseren Kollegen bei REHADAT erfahren, profitieren rund 30 Millionen Menschen in Deutschland von barrierefreien Websites. Ihnen wird die Nutzung überhaupt erst ermöglicht. Zum anderen verbessert eine barrierefreie User Experience die Bedienfreundlichkeit für alle Besucher. Das sollte dann auch steigenden Umsätzen führen.  Für Unternehmen bedeutet das: Es ist immer von Vorteil, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, auch wenn man nicht vom BFSG betroffen ist.

Welche Rolle spielt die Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeitern in der Umsetzung digitaler Barrierefreiheit?
Eine sehr große. Das Bewusstsein für Barrierefreiheit muss sich quer durch alle Kommunikationsdisziplinen entwickeln und ausbilden. Nur wenn alle das Thema mitdenken, kann Barrierefreiheit auch funktionieren. Das heißt also: Wie sorge ich für eine intuitive Seitenstruktur, wie für eine Tastaturbedienbarkeit, ein kontrastreiches Design oder einfache, verständliche Sprache?

Barrierefreiheit ist ein komplexes Feld. Wie sollten Unternehmen damit starten?

Die gesetzlichen Richtlinien sind wahrscheinlich erst einmal erschlagend. BFSG? WCAG? BITV? Was ist das alles, wofür brauche ich das und was muss ich davon einhalten? Natürlich können Webseitenbetreiber versuchen, sich selbst durchzuwühlen und Wissen anzueignen. Aber schneller ist es, eine Agentur mit entsprechender Expertise einzuschalten. So bieten wir zum Beispiel einen kostenlosen Barrierefreiheit-Test an, der einen wichtigen ersten Überblick darüber gibt, wie groß der Handlungsbedarf auf der Webseite überhaupt ist. Gewissheit und einen kompletten Überblick bekommt man dann mit unserem Barrierefreiheit-Audit. Es überprüft nicht nur alle gesetzlichen Vorgaben, sondern gibt auch Handlungsempfehlungen. Natürlich unterstützen wir Unternehmen auch gerne bei der Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre digitalen Angebote kontinuierlich barrierefrei bleiben?

Bei jeder Veränderung einer Website muss darauf geachtet werden: Ist das neue Element, das hinzukommt, auch wirklich barrierefrei? Wenn nicht, ist es die ganze Website nicht mehr. Ich weiß, dass hier die Verunsicherung in den Unternehmen sehr hoch ist. Daher bieten wir von IW Medien Webinare an, die den Mitarbeitern konkrete Unterstützung und Praxishilfe bieten. Hier sind wir gerne auch langfristiger Partner, um beratend zur Seite zu stehen, neue Inhalte zu prüfen oder auch Änderungen direkt barrierefrei umzusetzen.

Barrierefreiheitsexperte Sune Donath im Gespräch

Mit Barrierefreiheit-Test und Barrierefreiheit-Audit hab ich als Unternehmen aber noch nicht die gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Brauchts da nicht noch mehr Support?

Auf jeden Fall. Durch Test und Audit wird klar, wo der Schuh drückt. Um die Probleme zu beheben, die dabei ans Licht kommen, bieten wir unsere Expertise an. Entweder stehen wir bei der Umsetzung beratend zur Seite oder wir machen die Umsetzung eines barrierefreien Webdesigns nach Wünschen des Kunden direkt selbst.

Welche drei Tipps hast du für Unternehmen, die das Ziel der digitalen Barrierefreiheit möglichst effektiv erreichen wollen?

Erstens und ganz wichtig: Mitarbeiter schulen. Zweitens: Bei neuen Produkten Barrierefreiheit direkt von Anfang an mitdenken und schließlich drittens eine dringende Empfehlung für die positive Sichtweise: Barrierefreiheit als Chance für gute User Experience - und eben nicht als gesetzliche Vorgabe.

Anschub gewünscht?

Thomas Docter
Senior Concepter der IW Medien

Ideen fließen bei langer Bewegung in der Natur. Die guten bleiben – ganz ohne Papier.

Weitere Blogbeiträge